Konsolidierungswelle im Nachhaltigkeitsresearch
Anlagekonzepte
a. Überblick über die Bandbreite der Konzepteb. Kritische Würdigung: Warum gibt es so viele Methoden & Ratings? Ist die Vielfalt nötig?
c. Konsolidierungswelle im Nachhaltigkeitsresearch
c. Konsolidierungswelle im Nachhaltigkeitsresearch
Die letzten Jahre waren recht turbulent für die Branche des Nachhaltigkeitsresearch. Zusammenschlüsse und Übernahmen läuteten eine Konsolidierungsphase ein, wobei insbesondere große konventionelle Datenanbieter in den Markt von Nachhaltigkeitsinformationen einstiegen. Während ihnen anfangs von manchem Vertreter der nachhaltige Nische vorgeworfen wurde, sie seien oberflächliche Datensammler, scheint sich das Bild nun zu differenzieren, da sie zunehmend spezielle Analyseinstrumente anbieten. So führte der Bloomberg im Dezember 2013 ein Analyse-Instrument ein, das das Anlagerisiko für CO2-intensive Unternehmen misst für den Fall, dass große Teile der fossilen Rohstoffe in der Erde bleiben müssen.Für die großen Datenanbieter ist aber die ökonomische „Materialität“ von vorrangiger Bedeutung. So stellte Bloomberg im November 2011 in einem spezielles „Tool“ ein Aktienbewertungsmodell auf Basis von ESG-Finanzkennzahlen zur Verfügung, das ein einstiger SRI-Analyst von Unicredit entworfen hatte. Der Finanzfokus unterscheidet die herkömmlichen Datenanbieter von vielen puren Nachhaltigkeits-Rating- und Researchhäuser, die mehr die negativen Folgen des Kerngeschäfts von Unternehmen für Umwelt und Gesellschaft im Blick haben.
Ein Höhepunkt der Konsolidierung war Ende 2009 der Einstieg des weltgrößten Finanzdatenanbieters Thomson Reuters in die Branche. Seither liefert Thomson Reuters seinen Kunden – rund 500.000 Finanzprofis - umfangreiche Umwelt-, Sozial- und Governance-Daten (ESG). Das britisch-amerikanische Unternehmen hatte die Schweizer Asset4 aus Zug übernommen, eine der weltweit führenden Nachhaltigkeitsresearch-Agenturen. Diese Akquisition zeigte unmissverständlich, dass Nachhaltigkeit kein Nischenthema mehr ist, sondern kraftvoll im „Mainstream“ der Finanzwelt angekommen.
Mit dem Zukauf wollte Thomson Reuters angesichts zunehmender freiwilliger und obligatorischer Anforderungen an Investoren und Unternehmen die Integration von ESG-Daten in die herkömmliche Finanzanalyse vorantreiben – und den Erzrivalen Bloomberg überholen. Der hatte wenige Monate zuvor die UN-Prinzipien für verantwortliches Investieren (UN PRI) unterzeichnet und kurz darauf ESG-Dienstleistungen für Professionelle lancierte. Er hatte Daten von mehr als 3000 Unternehmen in 45 Ländern gesammelt.
Der Unterschied zwischen den beiden dominanten Anbietern wird an der Informationsdichte und -art deutlich: Bloomberg bietet Informationen zu rund 20 Schlüsselkriterien (Key Performance Indicators / KPI), welche ESG-Daten mit fundamentalen Finanzdaten koppeln. Die Methodik wurde mit Wissenschaftlern, Vermögensverwaltern und Nachhaltigkeitsanalysten entwickelt. Dagegen managed Thompson Reuters laut eigener Darstellung die weltgrößte ESG-Datenbank: Für mehr als 4000 Unternehmen liefert das Research Informationen über bis zu 500 Indikatoren. Es sind Kriterien, für die in den vergangenen Jahren eine Korrelation mit Finanzdaten festgestellt wurde. Diese Kriterien haben demnach einen nachweislichen Einfluss auf Unternehmenserfolg und Wertentwicklung.
Investoren und Unternehmen brauchen sich für ihr Tagesgeschäft aber nicht von der Datenflut überschwemmen zu lassen, sondern können die für sich relevanten Kriterien herausgreifen, seien es fünf oder 200. Thompson Reuters ist inzwischen ebenfalls der Initiative UN PRI beigetreten, die Asset4 längst unterschrieben hatte. Weltkreditkrise, Klimawandel und neue Regulierungen zeigten die Notwendigkeit, ESG- und Reputationsrisiken zu kennen, erläuterte die Agentur zu diesem Anlass. Immer mehr Kunden fragten sie nach immer mehr Daten, um zu verstehen, wie die Kombination finanzieller und extra-finanzieller Faktoren Performance und Risken ihrer Investments bestimmen. Es gebe Analysetools, um die Daten in tägliche Entscheidungen zu integrieren. Das ermögliche Investoren bessere Wertentwicklungen und Risikominderung.
Zusammenschlüsse sollen Position im schärferen Wettbewerb stärken
Für spezialisierte Nachhaltigkeitsresearch-Agenturen verschärft sich durch das Angebot der großen Informationsdienstleister die Wettbewerbssituation. Das weltweite Volumen aller irgendwie nach nachhaltigen Kriterien oder verantwortlich orientierten Kapitalanlagen beläuft sich inzwischen auf mehr als 13,6 Billionen US-Dollar (über 10 Billionen Euro), berichtete 2013 die Global Sustainable Investment Alliance. Das entspreche etwa einem Anteil von 21,8 % des insgesamt verwalteten Vermögens.
Nachhaltigkeitsreseach-Agenturen haben an dieser Entwicklung teil. Um sich aber angesichts wachsender Anforderungen von Investoren und der neuen Konkurrenz durch Informationsschwergewicht zu behaupten, bedürfen sie einer gewissen Größe.
Darum übernahm schon 2006 die französische Vigeo die belgische Ethibel und die italienische Avanzi. Aber erst seit 2008 geht eine richtige Konsolidierungswelle durch die Branche, an der auch weitere konventionelle Spieler teilhaben. So ging die Amsterdamer Gruppe Sustainalytics aus einem Zusammenschluss hervor: Zunächst verbanden sich Ende 2008 Scoris aus Frankfurt, die Dutch Sustainability Research und die spanische Analistas Internacionales en Sostenibilidad (AIS). Im September 2009 fusionierte Sustainalytics mit Kanadas Jantzi Research. Anteilseigner der Gruppe sind der niederländische Pensionsfonds PGGM, die Triodosbank und FortisMeesPierson. Das Research der Gruppe zu 2160 Unternehmen und nicht-börsennotierten Anleiheemittenten beeinflusst Anlagen in Höhe von rund einer Billion Euro.
Im Herbst 2009 übernahm die börsennotierte New Yorker Risikomanagement- und Governance-Gruppe RiskMetrics die Bostoner KLD Research & Analytics, eine der ältesten Nachhaltigkeitsagenturen. Sie war im Sommer zuvor eine strategische Partnerschaft für Indizes mit der britischen Börsengruppe FTSE eingegangen. Zuvor hatte sie die Institutional Shareholder Services (ISS) übernommen, die auf Hauptversammlungen Ansprüche von Investoren vertritt. Im Februar 2009 hatte RiskMetrics bereits das CSR-Researchhaus Innovest erworben. Die Kunden betrachteten Umwelt-, Sozial- und Governance-Leistungen als entscheidenden Benchmark für unternehmerische Risiken und langfristigen Wert, hieß es zur Begründung für die Expansion. RiskMetrics stieg zu den führenden ESG-Research-Dienstleistern auf. Ihr Fokus ist allerdings darauf begrenzt, Investoren Informationen für ihr Abstimmungsverhalten bei Hauptversammlungen zu geben. RiskMetrics ist inzwischen aber auch nicht mehr selbstständig, sondern gehört seit 2010 zum US-Indexanbieter MSCI.
Im Jahr 2010 fusionierten auch nach einjähriger Kooperation zwei Schweizer Agenturen, die frankophone Centr Info und die deutschsprachige Inrate AG und firmieren seither unter Inrate. Das seit mehr als 20 Jahren aktive Unternehmen hat 2012 die ESG-Analyse weiterentwickelt. Nachhaltigkeit nehme an Bedeutung zu, wodurch die Leistungsanforderungen an nachhaltige Ratingagenturen stiegen, hieß es zur Begründung. Sie bräuchten folglich eine kritische Größe, um Investoren eine globale Abdeckung, auch zu Schwellenländern, bieten zu können. Konsolidierung sei – unabhängig von der Branche – Zeichen einer zunehmenden Professionalisierung, sagen Fachleute. Centr Info gehörte wie die damals unabhängige Scoris zum einstigen Netzwerk SiRi Company.
Zwei deutsche Agenturen stehen auf eigenen Füßen
Aus der Reihe fallen die beiden deutschen Research-Agenturen Imug und Oekom Research. Sie sind unabhängig von Banken oder großen Investoren und wollen das auch bleiben. Imug aus Hannover setzt auf Arbeitsteilung: Sie kooperiert seit Jahren mit der britischen Eiris und ist deren Partner für die Analyse der Unternehmen im deutschsprachigen Raum.
Schon vor Jahren prognostizierte die Münchener Oekom Research eine Konsolidierung - und will darin aus eigener Kraft und vor allem unabhängig bestehen, auch um für Kunden eine einheitliche und konsistente Methodik zu gewährleisten. Beide setzen anders als einige der fusionierenden Agenturen nicht auf das bloße Sammeln öffentlich zugänglicher Daten und pure Datenlieferung, sondern bieten tief gehende Analysen und Bewertungen, die auf umfassendem eigenen Reseach beruhen. Hinzu kommen Spezialthemen, die Investoren wünschen, etwa Mikrofinance, Immobilien oder Entwicklungszusammenarbeit. Die unabhängigen Agenturen haben sich zudem verpflichtet, Investoren transparent zu ihren Methodiken zu informieren (Qualitätsstandards).
Die meisten Research-Agenturen reagieren mit Partnerschaften und Fusionen auch auf den Trend, dass Banken und Vermögensverwalter ein eigenes Research aufbauen, um mit externem Know-how mithalten zu können. Sie wollen mit neuen Produkten Themen setzen. Doch erst wenige Banken können das oder haben Finanz- und Nachhaltigkeitsanalyse voll integriert. Größere Reseach-Teams für Nachhaltigkeit existieren beispielsweise bei den französischen Banken Axa und BNP Paribas, der britischen HSBC oder den Schweizer Privatbanken Notenstein und Sarasin. Im deutschsprachigen Raum gibt es zumeist eher Analystenteams, die bestimmte Themen bearbeiten oder Informationen von Research-Providern nach eigenen Methoden auswerten, um Firmen zu bewerten. Kompetenzteams haben etwa die genossenschaftliche DZ Bank, die Schweizer Bank Vontobel oder die österreichische Vinis.
Auch Unternehmen brauchen Informationen
Finanzinstituten geht es auch darum, Unternehmen im eigenen Portfolio beraten zu können. Umgekehrt wollen immer mehr Unternehmen ESG-Daten, um ihre Strategien und Leistungen mit denen von Konkurrenten zu vergleichen - schon weil die Reputationspflege das verlangt. „Firmen können Unternehmensführung und Transparenz verbessern, Risiken senken sowie Verantwortlichkeit und Vertrauen erhöhen“, “, erläuterte Thompson Reuters die Möglichkeiten seines Datenangebots. In Deutschland profitiere RWE davon.
Die New Yorker NYSE Euronext ging 2009 eine Partnerschaft mit Asset4 ein, um den Führungsebenen der bei ihr börsennotierten Unternehmen vom Vorstand bis zum IR-Manager mit einer speziellen Matrix zu helfen, ihre CSR-Strategien effektiver umzusetzen, zu kontrollieren und mit Wettbewerbern zu benchmarken. „ESG sind inzwischen sehr wichtige Faktoren, die die gesamte Leistung und Risikoprofile eines Unternehmens beeinflussen“, begründete damals NYSE Euronext.
Teilweise Konsolidierung bei den Kriterien
Für Investoren stellt sich allerdings die Frage, wie viele und welche ESG-Aspekte zu berücksichtigen sind. Auch gibt hier einen Konsolidierungstrend. Immer wichtiger werden sowohl Kriterien, die materiell einen nachweislichen Einfluss haben, als auch solche, die branchenspezifisch sind. So startete Asset4 vor Jahren mit 900 Indikatoren und lag Ende 2011 nach der Übernahme durch Thompson Reuters bei 250.
Sustainalytics-Mitbegründer Scoris hatte einst 200 branchenübergreifende Kriterien. Infolge der Fusionen sank die Zahl auf 80 Kriterien plus 20 branchenspezifische. Auch die Systematik änderte sich: Scoris bewertete sieben nach Anspruchsgruppen differenzierte Bereiche. Sustainalytics analysiert heute entlang der drei international etablierten ESG-Blöcke. Branchenspezifische Kriterien erhielten ein wachsendes Gewicht, insbesondere durch neue Fragen, etwa ob es Finanzdienste für sozial schwächere Kunden gibt und wie hoch der Anteil nachhaltigen Investments an der gesamten Geldanlage des Unternehmens ist.
Oekom Research verfolgt traditionell einen branchenspezifischen Ansatz. Die Datenbank verfügt über ein Set von 700 Kriterien, aus der pro Branche passgenau Hundert zusammen gestellt werden. Zwei Drittel decken branchenübergreifende Themen ab, ein Drittel die spezifischen Herausforderungen des Sektors. Die Zahl der Indikatoren wurde schon vor einigen Jahren etwas reduziert, weil manche zwar erstrebenswert, aber in der Praxis nicht realisierbar waren.
Gegen den Trend arbeitet Imug – ihre Kunden, die Investoren, entscheiden über die Menge der ihnen wichtigen Kriterien. Hier komme es tendenziell zu einer Ausweitung, heißt es. Vermehrt wollen vor allem deutschsprachige Investoren präzises Einzelwissen haben, um die komplexen Zusammenhänge nachhaltigen Wirtschaftens und Investierens zu verstehen. So kommen zu den 250 Kriterien immer wieder neue hinzu. Eine Klimastrategie etwa ist nicht nur durch CO2-Emissionen abzudecken, sondern erfordert Angaben darüber, ob und wie Unternehmen das Thema bei Vorstandsvergütung, Mitarbeitersensibilisierung und Produktdesign einbinden und ob sich Unternehmen für Artenvielfalt einsetzen, deren Zerstörung eine der Hauptursachen des Klimawandels ist.
Auch Inrate / CentrInfo sehen das so und stockten die Kriterien in den letzten Jahren schrittweise von einst 90 auf inzwischen 150 auf (Dez. 2013). Manche Kriterien wurden aufgeteilt, um ein Thema detaillierter fassen zu können. Umfassender und systematischer werden künftig soziale und ökologische Auswirkungen von Produkten und Diensten und bei Zulieferern analysiert.
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