Aachener Stiftung Kathy Beys

Herausforderungen für Unternehmen

Nachhaltige Entwicklung und Unternehmensverantwortung

Werden natürliche Ressourcen weiter im heutigen Tempo abgebaut, zerstört das die Basis der Wirtschaft, unsere Lebensgrundlage und die der nächsten Generationen. Davor warnte 2006 eine Gruppe von rund 1400 Wissenschaftlern, die unter anderem für die Vereinten Nationen seit Jahren den globalen Zustand der natürlichen Ressourcen erforschen. Ihr Ergebnis: Die Lebensräume, die die notwendigen Ressourcen zur Herstellung von Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern liefern sowie Luft und Wasser reinigen, werden unwiderruflich geschädigt. Sofern es, so sagen Experten, nicht zu deutlichen Änderungen bei den Wirtschafts- und Lebensweisen der industrialisierten Welt und der aufstrebenden Länder kommt.

Infolgedessen stehen Unternehmen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor zahlreichen und oft miteinander verwobenen Mega-Herausforderungen: dem Klimawandel (Bekämpfung und Anpassung), der Ressourcenknappheit (fossile Energieträger, Wasser, Metalle, Boden), zunehmender Trinkwasserknappheit, dem Verlust an der biologischen Vielfalt (Biodiversität) sowie wachsender Armut und Hunger sowie dem demographischen Wandel.

Unternehmen haben viel damit zu tun. Denn zu den Problemen tragen maßgeblich die Lebensstile der Konsumenten in Industriestaaten bei sowie die Unternehmen, die die Produkte für diese Lebensstile herstellen. Durch die Globalisierung haben die Unternehmen einen mindestens so großen, wenn nicht größeren Einfluss als die Politik auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Zustände überall auf der Welt, sagen Wissenschaftler unterschiedlicher Institutionen. Unternehmen bauen Fabriken, Straßen und Vertriebsniederlassungen, sie beschäftigen Hunderttausende Menschen und kaufen große Teile ihres Umsatzes bei lokalen Zulieferern. Auch kleine und mittlere Firmen nehmen Einfluss, indirekt über Zulieferer und Handel. Die sozialen und ökologischen Auswirkungen sind teils bis in entlegene Regionen der Welt spürbar.

Untätigkeit setzt Unternehmen Risiken aus
Umgekehrt spüren Firmen selber Anzeichen für große und teils vom Menschen verursachte oder verschärfte Probleme oder ihre Geschäftspolitik setzt sie großen Risiken aus - teilweise sind Firmenwerte in Gefahr. So äußert sich der Klimawandel in zunehmend extremen Wetterlagen, Trockenheit oder Stürmen, die den Versicherern weltweit enorme Kosten verursachen und die teils auch unversicherte Betriebsstätten zerstören. Die Ressourcenknappheit und Spekulation verursachen seit einigen Jahren Preisexplosionen oder starke Preisschwankungen bei Rohstoffen. Dies belastet nicht nur die Gewinnmargen der Unternehmen, sondern führt auch regional zu kriegerischen Konflikten um Rohstoffe, etwa in Zentralafrika. Fachleute erwarten, dass derartige Spannungen zunehmen werden. Unternehmen in trockenen Gebieten leiden unter einer - teils durch Verschwendung verursachten - Süßwasserknappheit und müssen in Extremsituationen Tausende von Menschen entlassen.

Der durch Menschen verursachte Verlust der Vielfalt an Arten, Genen und Biotopen kostet jährlich 6,6 Billionen Dollar – mehr als elf Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts, stellte 2010 eine internationale Studie fest. Das betrifft viele Branchen, nicht nur Tourismusunternehmen, der Geschäft von der Attraktivität der natürlichen Umwelt abhängt. Investoren ziehen sich aus Bergbauunternehmen zurück, die ganze Regionen verseuchen. Aber auch die Pharmazie hängt regional um bis zu 70 Prozent von pflanzlichen Inhaltsstoffen und der Existenz unzähliger Arten ab. Schließlich bekommen Unternehmen insbesondere seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York die Folgen von Fanatismus und Terror in Entwicklungsländern zu spüren, entstanden aus Armut und sozialer Ungleichheit von Nord und Süd.

Die Politik nimmt Unternehmen immer stärker in die Pflicht
Diese Beispiele zeigen, dass durch den Einfluss der Wirtschaft auch ihre Verantwortung wächst sowie in ihrem eigenen Interesse liegt. Die EU-Kommission rief die europäische Wirtschaft darum 2005 auf, „Corporate Social Responsibily“ (CSR), das heißt ihre gesellschaftliche Unternehmensverantwortung aktiv anzugehen. CSR könne zu einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial gerechten und ökologisch verträglichen Entwicklung beitragen. Zur Nachhaltigkeit, die auch künftigen Generationen rund um den Erdball ermöglichen soll, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, hat sich die Staatengemeinschaft in Rio 1992 verpflichtet. Unternehmen sollen hier eine entscheidende Rolle spielen.

Dabei misst die EU-Kommission den Unternehmen seit 2011 eine noch größere Rolle zu. Zuvor hatte sie auf Freiwilligkeit gesetzt, was umstritten war. In ihrer neuen CSR-Definition von Ende Oktober 2011 fehlt der Begriff „freiwillig“. In ihrer CSR-Strategie bis 2014, formuliert sie klar, dass es um die „Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ geht, und sie kündigte erstmals rechtliche Maßnahmen an, mit denen sie Unternehmen in die Pflicht nehmen will. Im April 2013 hat sie einen Vorschlag für eine Berichtspflicht zu Nachhaltigkeitsleistungen für große Unternehmen vorgelegt. Denn meist bekennen sich Unternehmen erst bei Skandalen zu ihrer Verantwortung – lediglich rund Tausend der 42.000 größten europäischen Unternehmen betreiben ihre CSR strategisch, bemängelt die EU-Kommission und kritisiert: Weniger als zehn Prozent der größten Gesellschaften in der EU legten regelmäßig entsprechende Informationen offen.

Auch das Europäische Netzwerk der Umwelt- und Nachhaltigkeitsräte EEAC, zu dessen Mitgliedern auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung zählt, fordert von der Wirtschaft künftig mehr Verantwortung zu übernehmen und neue Nachhaltigkeitskoalitionen einzugehen. Nach Einschätzung der Bundesregierung ist die Stärkung des Nachhaltigkeitsengagements der Wirtschaft eine zentrale Voraussetzung für das Erreichen der Ziele der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Allerdings setzt die Bundesregierung auf freiwilliges Verhalten – eine Berichtspflicht zu CSR lehnt sie ab.

Deutsche Unternehmen haben in den 80er Jahren hierzulande viel für den lokalen Umweltschutz getan, für sie ist Mitbestimmung normal und sie bieten zunehmend über gesetzliche Anforderungen hinaus gehende soziale Leistungen. Doch heutzutage reicht das nicht mehr: Es gilt, dass deutsche und europäische Unternehmen europäische und internationale Standards für Umweltschutz und Soziales (seien es gesetzliche, seien es freiwillige) weltweit an allen Standorten anwenden, um verantwortlich zu handeln und negative Effekte auf natürliche Lebensräume und soziale Verhältnisse in Entwicklungsländern zu vermeiden oder wenigstens zu mindern. Die Erklärung ist einfach: Im Zuge der Globalisierung verlagern sich Wertschöpfungsketten in Schwellen- und Entwicklungsländer – ein großer Teil der Wirtschaft nutzt diese Produktionsverlagerung, um heimische Standards zu umgehen, indem sie sie in anderen Ländern nicht anwenden bzw. bei Zulieferern nicht auf entsprechend hohe Standards drängen.
Darum werden die Rufe von Experten und Nichtregierungsorganisationen nach nachhaltigem Wirtschaften / Corporate Sustainability lauter.

Unternehmen sollten schon im eigenen Interesse verantwortlich handeln und so nachhaltig wie möglich wirtschaften, sagen Experten und argumentieren: Umwelt und Soziales können über die Zukunftsfähigkeit des Kerngeschäfts entscheiden. Was nutzen Gewinn- und Umsatzwachstum, wenn Klimawandel oder Wasserknappheit die Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen zerstören oder Kriege um knappe Ressourcen entbrennen? Oder wenn es zu Bevölkerungswanderungen aus besonders betroffenen Regionen in wirtschaftlich bessergestellte Regionen kommt? Unternehmen müssen sich laut Regierungen und Nichtregierungsorganisationen fragen (lassen), wie und mit wessen Unterstützung sie ihrer Verantwortung gerecht werden.

Ansprüche an Unternehmen kennen und verstehen lernen
Nachhaltiges, ökologisch und sozial verantwortliches Wirtschaften ist allerdings äußerst komplex und gespickt mit neuen Fragestellungen und Herausforderungen. Sie stehen oft im Zielkonflikt zueinander. Es gibt keine Checkliste, die man abarbeiten könnte. Vielmehr ist Nachhaltigkeit ein gesellschaftlicher Such- und Lernprozess. Kein Akteur ist in der Lage, wirksame Nachhaltigkeitsstrategien alleine zu entwerfen und zu realisieren. Weil Unternehmen zudem viele, oft verwirrende Einflüsse berücksichtigen müssen, die sich ihren bisherigen Erfahrungen und traditionellen ökonomischen Berechnungsmethoden weitgehend entziehen, sind sie gut beraten, sich den Sichtweisen der Welt um sie herum zu öffnen.

Sie müssen daher zunächst die gesellschaftlichen Ansprüche an sie kennen und verstehen lernen. Einerseits um Fehler zu vermeiden und Vorwürfen vorzubeugen, andererseits um Dinge zu lernen und Ereignisse und Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, die wichtig für den unternehmerischen Erfolg sein können. Anschließend ist das in langfristig strategisches Handeln umzusetzen. Anspruchsgruppen der Unternehmen sind unter anderem Mitarbeiter, Zulieferer, Kunden, Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen. Man nennt sie auch Stakeholder. Treten Unternehmen in Dialog mit ihnen, bezeichnet man das als Stakeholder-Dialoge.

Vorausschauend und risikobewusst wirtschaften
Eine zentrale These lautet: Unternehmen, die auf ökologische und soziale Auswirkungen ihres Kerngeschäfts achten, sind vorausschauender, risikobewusster und insgesamt besser geführt. Fehlende CSR setze die Unternehmen einem unnötig hohen Risiko aus, ergab eine empirische Studie der Universität Hamburg für die Deutsche Bank bereits 2006. Angesprochen sind auch Finanzinstitute, die das globalisierte Wirtschaften finanzieren und versichern.

Die Tücken liegen in der gesamten Wertschöpfungskette, von der Rohstoffgewinnung über Vorprodukte, Verarbeitung, Handel bis hin zur Nutzung, Recycling oder Wiederverwendung. Erforderlich sind unternehmensübergreifende Strukturen, die ein mit Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen sichern, so dass alle Geschäftsbereiche von dieser Art des Wirtschaftens durchdrungen sind. Viele Unternehmen stehen noch am Anfang. Aber durch erste Schritte in die richtige Richtung lösen sie Prozesse aus, die Schneeballeffekte haben sowie Wertschöpfungspotenziale aus den Wirkungszusammenhängen Ökologie-Soziales-Ökonomie sichtbar machen und heben.

Das Unternehmensnetzwerk „World Business Council for Sustainable Development“ (WBCSD) hat 2010 eine langfristige Nachhaltigkeitsvision für die Wirtschaft vorgelegt und jenen Unternehmen gute Zukunftschancen attestiert, die Lösungen für den Klima- und Ressourcenschutz oder die Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit zum Kerngeschäft machen. Sie könnten das Rennen um Marktanteile in der wachsenden „grünen“ Wirtschaft für sich entscheiden, müssten sich hierfür aber vom isolierten „Silodenken“ verabschieden: Angesichts der vielfältigen Wechselwirkungen könne man nicht mehr getrennt nach Abteilungen, Fachrichtungen, Branchen oder Gruppen aus Politik und Gesellschaft denken und handeln.

Interdisziplinäre Kooperation erforderlich
Vielmehr sei wichtig, interdisziplinär über alle Abteilungen hinweg zu kooperieren sowie branchen-übergreifend und entlang der Wertschöpfungskette neue Formen der Zusammenarbeit mit Politik, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft zu erproben.

Beispielsweise ist der Widerstand der Zulieferer gegen Umwelt- und Sozialstandards teils groß. Sicherheitsmaßnahmen und Gesundheitsschutz leuchten ihnen noch ein, doch bei kulturell geprägten Aspekten wie Kinderarbeit oder langen Arbeitszeiten ist der Überzeugungsaufwand groß. Die Drohung mit Vertragskündigung ist oft keine Lösung, weil der Einfluss von Abnehmern vom Produktionsanteil abhängt, der zwischen einem und 50 Prozent liegt.

Hier hilft die Kooperation mit Wettbewerbern: So kooperiert Adidas seit vielen Jahren mit Nike und Reebok, weil gelernt wurde, dass es notwendig ist, gemeinsam auf Lieferanten einzuwirken und die Forderungen besser abzustimmen. Die Kooperation war lange in der Sportartikelindustrie einzigartig, wie die unabhängige Münchener Rating-Agentur Oekom-Research bestätigt. Durch die Verpflichtung der Zulieferer auf Umwelt- und Sozialstandards, die enge Kooperation mit ihnen sowie teilweise externe Überprüfungen, verzeichnen die Zulieferer weniger Unfälle und liefern bessere Qualität. Die Kunden haben ein besseres Gefühl und, da die Unternehmen transparent berichten, hat die Aktie einen besseren Ruf, trotz einzelner negativer Vorfälle.


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Externe Links
Einschätzung der Bundesregierung
Teeb: internationale Studie

Schlagworte

Definitionen, Grundlagen, Herausforderung, Markt, Nachhaltige Entwicklung, Unternehmen, Wirtschaft

Letzte Aktualisierung

14.10.2015 10:08

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