Aachener Stiftung Kathy Beys

WBGU: Welt im Wandel, 2008

Mitte Dezember 2008 hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) den Entwurf seines Gutachtens Welt im Wandel - Zukunftsfähige Bioenergie und nachhaltige Landnutzung (Stand 16.12.2008) (pdf, 17,1 MB der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Endfassung soll im Frühjahr 2009 als Buch erscheinen. Im Folgenden werden die WBGU-Aussagen bzgl. der Biomassenutzung in Entwicklungsländern auszugsweise wiedergegeben werden.

10.8.2.3 Kernelemente nationaler Bioenergiestrategien für Entwicklungsländer
Ohne wirksame politische Steuerung auf nationaler Ebene sind die Risiken der Bioenergienutzung kaum zu vermeiden. Neben einer potenziell negativen Klimabilanz des Energiepflanzenanbaus sowie dem Verlust an biologischer Vielfalt (z. B. durch Waldrodungen) drohen insbesondere Verdrängungseffekte zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion und die Verdrängung kleinbäuerlicher Produktion durch den großflächigen Aufkauf von Land. Diese Risiken zu vermeiden und Bioenergieproduktion nachhaltig zu gestalten, bleibt vor allem eine Aufgabe nationaler Politik.

Gerade wenn Bioenergie zum Umbau nationaler Energiesektoren genutzt und Energiepflanzen auf großen Flächen angebaut werden sollen, brauchen Entwicklungs- und Schwellenländer länderspezifische Strategien, die den damit verbundenen Chancen und Risiken gerecht werden. Unterschiedliche mit der Bioenergieproduktion verknüpfte Politikziele lassen sich über unterschiedliche Konversionspfade und Wertschöpfungsketten erreichen, Zielkonflikte entsprechend minimieren (z. B. in Indien: Kasten 10.8-1). Kernelemente einer Bioenergiestrategie müssen von den jeweiligen Regierungen länderspezifisch konkretisiert und unter Einbeziehung der betroffenen Akteure abgewogen werden. Großskalige Bioenergieinvestitionen in Entwicklungsländern sollten demnach ohne die vorherige Erstellung klar ausgearbeiteter und in ihrer Umsetzung realistischer Strategien und Nutzungskonzepte nicht getätigt und zumindest von Seiten der Entwicklungszusammenarbeit nicht unterstützt werden. Nur eine systematische Überprüfung der länderspezifischen Ziele und Voraussetzungen sowie eine Ausarbeitung der Bedingungen für eine nachhaltige Produktion – einschließlich der Abwägung möglicher Alternativen – kann einen ökologisch wie sozial nachhaltigen Ausbau nationaler Bioenergiesektoren gewährleisten (Entscheidungshilfe: Abb. 10.8-1). Die Entwicklungspolitik kann hierbei wichtige Beiträge leisten.

Biomasseproduktion und Anbausysteme in Entwicklungsländern
... Beim Anbau von Energiepflanzen sind insbesondere in Entwicklungsländern direkte und indirekte Landnutzungsänderungen (z. B. durch tropische Entwaldung, Konkurrenz zur Nahrungsproduktion) ein Risikofaktor. Landnutzungsänderungen beeinflussen die Treibhausgasbilanz entscheidend, weshalb der WBGU die direkte und indirekte Umwandlung
von Wäldern und Feuchtgebieten ablehnt. Der Anbau von Energiepflanzen sollte deshalb auch in Entwicklungsländern auf solche Flächen beschränkt werden, deren Umwidmung für die Bioenergieproduktion Emissionen aus Landnutzungsänderungen weitgehend vermeidet, da hierdurch etwa die Hälfte der Klimaschutzwirkung verloren gehen kann oder sogar Klimaschäden ausgelöst werden (Kap. 7.3).

Daher sollte für den Anbau von Energiepflanzen vor allem marginales Land gefördert werden. Da in Entwicklungsländern auch marginale Flächen häufig genutzt werden, ist dabei auf die Interessen lokaler Bevölkerungsgruppen zu achten und deren Partizipation sicherzustellen. Beim Anbau im Rahmen der Vertragslandwirtschaft sollte die faire Teilhabe von Kleinbauern an der Produktion gewährleistet werden (Kasten 8.2-3).

Einbindung der Bioenergie in die Energiesysteme von Entwicklungsländern und sinnvolle Konversionspfade
Der WBGU zeigt, wie Bioenergie je nach Zielsetzung und gegebenen Strukturen der Energiesysteme in Entwicklungsländern nachhaltig verwendet werden kann. Neben ihrem verbesserten Einsatz zur lokalen Energieversorgung, auf Haushalts- und Dorfebene sowie in Kleinbetrieben kann Bioenergie grundsätzlich auch einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der Energiesektoren im urbanen-industriellen Kontext leisten. Wichtig ist dabei zu unterscheiden, ob Bioenergie im Bereich der Strom- und Wärmeversorgung oder im Verkehrssektor eingesetzt werden soll. Für den Klimaschutz erscheinen auch in Entwicklungsländern diejenigen Anwendungsbereiche am attraktivsten, bei denen fossile Energieträger mit hohen CO2-Emissionen (vor allem Kohle) verdrängt werden (Kap. 9.2.1.3). Deshalb sind Nutzungspfade,die aus Bioenergie Strom erzeugen, in der Regel gegenüber der Nutzung von Biokraftstoffen für den Transport vorzuziehen. Die unter den gegebenen Rahmenbedingungen jeweils besten Anwendungen hängen jedoch stark von der gegebenen Energieversorgungsstruktur und den Kostenstrukturen ab. Dabei sind sowohl Gestehungs- als auch Treibhausgasvermeidungskosten relevant (Kap. 7.3).

Obwohl Entwicklungs- und Schwellenländer noch keine internationalen Verpflichtungen zur quantitativen Begrenzung ihrer Treibhausgasemissionen eingegangen sind, haben auch sie sich zum Klimaschutz bekannt. Gerade in wirtschaftlich schwächeren Ländern kann aber die absolute Menge an Treibhausgaseinsparungen kaum der entscheidende Faktor bei der Auswahl der Konversionssysteme sein. Bioenergiepfade, die besonders kostengünstige Klimaschutzoptionen darstellen, sollten jedoch auch in Entwicklungsländern mit höchster Priorität verfolgt werden. Nicht zuletzt können bei niedrigen Treibhausgasvermeidungskosten auch neue Finanzierungsquellen über internationale Klimaschutzinstrumente erschlossen werden. Daher sollten solche Konversionspfade für die Bioenergienutzung angestrebt werden, die bei relativ hoher Vermeidungsleistung pro eingesetzter Menge an Biomasse geringe Treibhausgasvermeidungskosten haben. Wichtig ist dabei vor allem, Technologien einzusetzen, die einen Übergang hin zu einem modernen Energiesystem mit niedrigen Treibhausgasemissionen erlauben. Eine ineffiziente Infrastruktur sollte deshalb nicht verstetigt werden. Unter diesen Gesichtspunkten sind folgende Anwendungen insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer von Interesse:

Bei der Strom- und Wärmeversorgung führen diejenigen Pfade, bei denen feste Biomasse in Kohlekraftwerken mitverbrannt wird, zu hoher Treibhausgasvermeidung bei geringen Vermeidungskosten. Besonders positiv ist hierfür die Nutzung biogener Reststoffe aus Land- und Forstwirtschaft (z. B. Stroh, Hackschnitzel, Bagasse usw.), Kaskadennutzung und die Energiepflanzennutzung in Form von Holz- oder Gräserpellets. Mitverbrennung ist dort besonders günstig, wo der Kohleanteil an der Stromversorgung hoch ist, wie z. B. in den wachsenden Schwellenländern Indien und China. Der große Vorteil der stationären Nutzung liegt darin, dass die Abwärme genutzt werden kann. Wegen ihres hohen energetischen Wirkungsgrads ist die KWK-Technik grundsätzlich der reinen Stromproduktion vorzuziehen, sofern die Nachfrage nach der Wärme gegeben ist. Gerade für Regionen mit hohem Kälte- bzw. Kühlbedarf lässt sich die KWK auch zur Kälteerzeugung einsetzen.

In Ländern wie Brasilien könnte Ethanol aus Zuckerrohr direkt in Gas- und Dampfkraftwerken eingesetzt werden. Auch der Einsatz von Flüssigkraftstoffen (z. B. Pflanzenöl und Bioethanol) in Blockheizkraftwerken (BHKW) hat eine höhere Klimaschutzwirkung als deren Einsatz im Verkehr. Allerdings haben diese Bioenergiepfade relativ hohe Gestehungs- und Treibhausgasvermeidungskosten, falls die Infrastruktur neu aufgebaut werden muss. Als teure Klimaschutzoption sind sie daher für eine mögliche Finanzierung über Klimaschutzinstrumente weniger attraktiv. Diese Optionen sollten deshalb vor allem durch Entwicklungszusammenarbeit und Technologiekooperationen unterstützt werden. In Ländern wie z. B. Uganda, in denen die Stromversorgung größtenteils durch Wasserkraft erfolgt, ist der Einsatz von Biomasse als Flüssigkraftstoff im Verkehr sinnvoll, wenn dadurch fossile Kraftstoffe verdrängt werden. Eine noch größere Klimaschutzwirkung könnte allerdings erreicht werden, wenn die in tropischen Ländern produzierte Biomasse bzw. Pflanzenöl und Bioethanol zur Verstromung in BHKW eingesetzt oder exportiert würden. In urbanen Zentren können breit angelegte Programme zur Einführung von BHKW den Neubau großer Kohlekraftwerke vermeiden. Die Produzenten von Biokraftstoffen haben dadurch eine gesicherte Abnahme und (mehr) Investitionssicherheit.

Nicht zuletzt ist Biomethan ein flexibler Energieträger, der eine nahezu universelle Nutzung ermöglicht. Ausgangsstoff ist entweder Biogas, das aus der Vergärung feuchter Biomasse in Biogasanlagen entsteht, oder Synthesegas aus der Vergasung von überwiegend fester Biomasse. Die Vergasung ist allerdings gegenwärtig noch vergleichsweise teuer (Kap. 7.2). Im Gegensatz zur direkten Nutzung des Bio- bzw. Synthesegases in dezentralen Stromerzeugungsanlagen, kann Biomethan in Erdgasnetze eingespeist und so eine flexible Nutzung in unterschiedlichen Kraftwerkstypen erreicht werden. Die Biomethanoption ist jedoch nur in Schwellen- und Entwicklungsländern mit einem bereits ausgebauten oder in Entstehung befindlichen Gasnetz interessant. Über Pipelines oder die Verflüssigung (LNG) kann Biomethan jedoch auch einfach transportiert und exportiert werden (Kap. 8.1.2.2, 8.1.2.3 und 9.2.1.4).

Im Transport- und Verkehrssektor sind Biokraftstoffe für Entwicklungs- und Schwellenländer insoweit eine Option, als sowohl Bioethanol als auch Biodiesel problemlos in Entwicklungs- und Schwellenländern produziert werden können. So lange Elektromobilität nicht etabliert ist und Verbrennungsmotoren ersetzen kann, ist der Anbau tropischer Energiepflanzen auf degradiertem Land zur Herstellung von Biokraftstoffen eine kostengünstige Klimaschutzoption. Biodiesel aus Jatropha und Bioethanol aus Zuckerrohr ermöglichen Treibhausgaseinsparungen zu geringen Kosten, wenn der Anbau zu einer Kohlenstoffspeicherung im Boden führt und keine indirekten Landnutzungsänderungen ausgelöst werden. Eine Finanzierung über Klimaschutzinstrumente könnte dadurch ermöglicht werden. Auch in diesem Fall könnten jedoch über die Stromproduktion höhere Treibhausgaseinsparungen erzielt werden. Damit die alte Verkehrsinfrastruktur auch in Entwicklungsländern nicht verstetigt wird, sollte daher eine gezielte Förderung in Richtung Verstromung und Elektromobilität erfolgen. Sofern die Produktion der Biokraftstoffe dem Mindeststandard entspricht, eröffnen sich hier Chancen für die Exportwirtschaft zur Verstromung der Flüssigkraftstoffe in BHKW z. B. in den Industrieländern (Kap. 8.1.2.1 und 9.2.1.4).

Es lassen sich also verschiedene Pfade identifizieren, die zur klimafreundlichen Modernisierung der Energiesektoren im urbanen-industriellen Kontext in Entwicklungs- und Schwellenländern durchaus sinnvoll sind. Hier bieten sich den tropischen Ländern durch den nachhaltigen Anbau von Energiepflanzen große Potenziale und außerdem Chancen zur ländlichen Entwicklung und Erschließung von Exportmärkten. Wie das Beispiel des Ölpalmenanbaus unter Berücksichtigung von direkten und indirekten Landnutzungsänderungen aber unmissverständlich zeigt, liegen gerade beim Energiepflanzenanbau die größten Risiken: Erfolgt der Ölpalmenanbau auf degradiertem Land, ergeben sich sehr hohe Treibhausgasminderungspotenziale. Wird für den Anbau Tropenwald abgeholzt, so verkehrt sich die positive Bilanz in ihr komplettes Gegenteil. Die Frage des Anbaustandorts und der Durchsetzung einer nachhaltigen Produktion sind somit essentiell für die Beurteilung des Nutzens und der Einschätzung der Förderpolitik für eine nachhaltige Ausweitung der Bioenergienutzung. Um die vorhandenen nachhaltigen Potenziale zu nutzen, sollte die Entwicklungszusammenarbeit die Partnerländer in ihrer Strategiebildung unterstützen und auf eine Einhaltung des Mindeststandards und der Förderkriterien bei größerskaligen Anwendungen hinwirken. Dafür sollten die notwendigen institutionellen Kapazitäten wie Landnutzungsplanung, Zertifizierung usw. zur Gestaltung einer nachhaltigen Bioenergienutzung gestärkt werden. Besonders soziale und ökologisch nachhaltige Anbausysteme sollten von der Entwicklungszusammenarbeit aktiv in Pilotprojekten gefördert werden. Um viel versprechende Technologien (KWK, BHKW, GuD, Mitverbrennung usw.) zum Durchbruch zu verhelfen und um einen effektiven Technologietransfer zu ermöglichen, sollten mit Hilfe von Fördermaßnahmen (Entwicklungszusammenarbeit, öffentlichprivate Partnerschaften usw.) ausgewählte Konversionspfade der Bioenergie gefördert werden. Darüber hinaus könnten CDM-Projekte verstärkt genutzt werden (Kap. 10.2.3).



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Schlagworte

Entwicklungszusammenarbeit, Gutachten, Mobilität, WBGU

Letzte Aktualisierung

03.11.2015 10:52

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