Aachener Stiftung Kathy Beys

Suffizienz

Definition
Der Begriff Suffizienz (aus dem Lateinischen sufficere = ausreichen, genügen) steht für "das richtige Maß", bzw. "ein genügend an". Verstanden werden kann die Suffizienz als Änderungen der vorherrschenden Konsummuster.
Das Konzept der Suffizienz berücksichtigt dabei natürliche Grenzen und Ressourcen und bemüht sich somit eines möglichst geringen Rohstoffverbrauchs. Suffizienz wird oft im Zusammenhang mit dem Begriff "nachhaltiger Konsum" gebraucht. Der Begriff steht hierbei für die Selbstbegrenzung und Entschleunigung sowie dem richtigen Maß an Konsum, Konsumverzicht und Entkommerzialisierung. (Quelle: Bauer 2008, S. 61ff)

Die Suffizienz Strategie
"Die Suffizienz Strategie fordert ökologie- und sozialverträgliche Obergrenzen für die Ökonomie bzw. das Wirtschaftswachstum, um die ökologischen Belastungsgrenzen der ökologischen Systeme einhalten zu können. Hierbei geht es um die Auffassung, wonach ein verminderter Ressourcen- und Umweltverbrauch auch ein zufriedenstellendes (suffizientes) Leben ermöglicht. Ansatzpunkte hierfür sind ein entsprechender Bewusstseinswandel der Menschen und die sich daraus begründende Veränderung der Lebensführung [...]." (Quelle: Fischer/Grießhammer 2013, S. 7ff)
Die Suffizienz Strategie basiert auf dem Grundgedanken, dass der weltweite Bedarf an Konsum und Dienstleistungen gesenkt wird, ohne das dabei Verluste eingebüßt werden. Vor allem in einer Zeit des Wegwerf-Konsums kommt es nicht selten zum Überkonsum aufgrund fehlender regulierender Maße. Die Konsumgesellschaft basiert darauf, dass möglichst viel konsumiert wird und geht implizit von der Notwendigkeit eines stetigen Wachstums aus. Dabei wird der Wohlstand und die Lebensqualität am Konsumniveau gemessen. Die Reduzierung des eigenen Konsums ist gleichbedeutend mit Verzicht und wird somit als Rückschritt verstanden. Oftmals resultiert daraus der Gedanke: Wer nicht konsumiert, befindet sich am Rande der Gesellschaft, da er das Wachstum nicht fördert oder mit diesem nicht Schritthalten kann. Problematischerweise prägt diese Vorstellung vom Konsum unsere Wahrnehmung der Realität, die scheinbar nicht zu durchbrechen ist. Genau an dieser Stelle setzt die Suffizienzstrategie an. (Quelle: Fischer/Grießhammer 2013, S. 7ff)

Eine Zielsetzung des Suffizienzansatzes ist die Veränderung der Konsummuster. Anstatt des vorherrschenden Überkonsums soll nur "die wirklich benötigte Menge von etwas" konsumiert werden. Dies senkt den Ressourcenverbrauch und schont die Umwelt. Auch die gesellschaftliche Wegwerf-Mentalität soll sich nach diesem Ansatz ins Gegenteil umwandeln. Die verlängerte Lebenszeit von Produkten ist dabei ein zentraler Faktor beim Wechsel des Konsummusters. Der Leitgedanke: Mit der Verlängerung der Haltbarkeit werden die Abstände zwischen dem häufigen Neukaufen gedehnt, sodass auch auf diese Weise die absolute Güterproduktion reduziert werden kann. Allerdings bezieht sich die verlängerte Lebenszeit nicht nur auf die Haltbarkeit von Produkten, sondern auch auf deren Aktualität. (Quelle: Nertinger 2014, S.35ff)
Ein typisches Beispiel hierfür ist die Smartphone-Branche. In immer kürzer werdenden Abständen kommen neue Mobiltelefone auf den Markt, die immer neue technische Innovationen versprechen. Oftmals wird aufgrund dessen das eigene noch funktionsfähige Handy gegen ein neues ausgetauscht. Auf diese Weise sammelt sich schnelle ein Berg an Smartphones an, der den Überkonsum deutlich widerspiegelt. Das Projekt "Ara" , welches ursprünglich von Motorola und gegenwärtig von Google durchgeführt wird, befasst sich mit diesem Problem und entwickelt derzeit ein Smartphone, welches aus einzelnen Bausteinen besteht, die sich austauschen lassen und somit eine ständige Aktualität ermöglichen. (Quelle: Projekt "Ara")

Der Suffiziens Strategie zufolge ist der Verzicht beim Konsumgüterkauf also alles andere als ein Rückschritt oder ein Zeichen von Schwäche. Vielmehr stellt gerade der Verzicht eine wichtige Maßnahme dar, die nachhaltige Entwicklung zu fördern und zukunftsorientiert zu handeln. Auch wenn es paradox klingen mag, ist der Verzicht ein zentrales Element für das zukünftige Wachstum.

Das Beispiel Car-Sharing
Oftmals fällt es schwer, Maßnahmen einer bestimmten Nachhaltigkeitsstrategie zuzuordnen. Ein Beispiel dafür stellt das Konzept des "Car-Sharings" dar. Beim Car-Sharing geht es darum ein Auto zu fahren, ohne es zu besitzen. Wer organisiertes Car-Sharing nutzt, ist dadurch von den lästigen Pflichten des Autobesitzes entbunden. Die Freiheit der Wahl des jeweils besten Verkehrsmittels entlastet Geldbeutel und Umwelt. Aus einem umfassenden Fahrzeugangebot kann ein Auto gewählt werden, das dem jeweiligen Fahrtzweck am besten entspricht. Die Kraftfahrzeuge des gewählten Car-Sharing-Anbieters stehen meist standortnah zur Verfügung. Eine Kontaktaufnahme mit der jederzeit erreichbaren Buchungszentrale genügt, um ein Auto zu buchen. Bereits Georg Wilke (2002) hat dieses Beispiel aufgefasst und die unterschiedlichen denkbaren Effekte herausgearbeitet. In Fischer/Grießhammer (2013) wurde dieses Beispiel erneut mit den folgenden Ergebnissen thematisiert:

  • Durch das Car-Sharing verringert sich eventuell der Umfang des gesamtgesellschaftlichen Fahrzeugbestands pro gefahrenenKilometern. Dieselbe Transportleistung wird nun mit weniger Fahrzeugen erbracht – ein Beispiel für Effizienz ?
  • Die Anzahl der gefahrenen Kilometer könnte sich ebenfalls verringern, etwa weil ein Auto nicht ständig leicht verfügbar ist – ein Suffizienzeffekt ?
  • Evtl. werden mehr moderne, effizientere Fahrzeuge eingesetzt als beim Privat-PKW – ein Effizienzeffekt ?
  • Es könnten mehr Fahrzeuge mit anderen Antriebskonzepten und Treibstoffen (Hybrid-, Elektroauto) zum Einsatz kommen –ein Konsistenzeffekt ?
  • Es kommen oft kleinere und weniger reichhaltig ausgestattete Fahrzeuge zum Einsatz–ein Suffizienzeffekt ?
"Das Beispiel zeigt, dass komplexe Dienstleistungen, Handlungen, Lebensstilentscheidungen oder Politikmaßnahmen selten „nur“ der Suffizienz-, Effizienz-oder Konsistenzstrategie zuzuordnen sind. Die drei Begriffe dienen vielmehr als analytisches Werkzeug, um verschiedenartige Eigenschaften, und mögliche Effekte dieser Maßnahmen herauszuarbeiten." (Quelle: Fischer/Grießhammer 2013, S. 12)

Ist die Suffizienz neben Effizienz und Konsistenz überhaupt notwendig ?
In der Diskussion um die nachhaltige Entwicklung werden die Faktoren Effizienz, Konsistenz und Suffizienz intensiv thematisiert. Dabei stellt sich oftmals die Frage nach der Notwendigkeit der Suffizienz. Das Prinzip der Effizienz nimmt im Kontext des Ressourcenverbrauchs eine zentrale Rolle ein. Hierbei geht es um die sinnvolle, ergiebige Nutzung von Rohstoffen und Energie, die u.a. mit der Ökoeffizienzanalyse berechnet werden kann. Ausschlaggebend ist dabei das Verhältnis eingesetzter Rohstoffe zum Endprodukt. Dieses Verhältnis kann verbessert werden, indem z.B. der Einsatz von Technik und Organisation durch Einsparungen, Abfallvermeidung, Recycling und vielem mehr, verändert wird. Die Konsistenz hingegen beschreibt die Verträglichkeit von anthropogenen Stoff- und Energieströmen mit den Strömen natürlicher Herkunft. (Quelle: Friedrich Ebert Stiftung)

Kritiker argumentieren damit, dass die Effizienz Strategie ausreiche, um die Umweltprobleme mithilfe des technischen Fortschritts zu lösen. Die Suffizienz-Befürworter hingegen stehen dem skeptisch gegenüber. Geht es nach ihnen, droht ohne die Umsetzung der Suffizienz-Strategie die Gefahr, dass die Effizienzgewinne durch Reboundeffekte kompensiert oder gar überkompensiert werden. Beispielsweise mag zwar ein Umstieg vieler Konsumenten auf Biofleisch gesünder und ethische korrekter sein, allerdings verschwindet dadurch nicht der Ausstoß von Treibhausgasen. Will man diese effektiv herabsenken, muss der Fleischkonsum generell reduziert und bestenfalls ganz aufgegeben werden. Ein anderes Beispiel stellt die Autoindustrie dar. So haben sich die technologischen Fortschritte insbesondere in diesem Sektor im punkto Umweltschutz verbessert. Was nützt es aber wenn das Auto weniger verbraucht aber dafür öfters und weiter gefahren wird ? (Quelle: Friedrich Ebert Stiftung)

Zwar ist ,,[...] der relative Ressourcenverbrauch ist für die Senkung des absoluten Ressourcenverbrauchs unabdingbar, jedoch nicht hinreichend. Die Herstellung von Produkten kann also durchaus ressourceneffizient sein. Leisten sie jedoch keinen Beitrag zur Wohlfahrt einer Gesellschaft, sollten sie nach der Suffizienz-Strategie nicht mehr hergestellt werden." (Quelle: Friedrich Ebert Stiftung)

Darüber hinaus ist spielt die Suffizienz auch neben der Konsistenz eine bedeutende Rolle. Mit einer Suffizienten Vorgehensweise würden unter anderem industrielle Produktionsprozesse reduziert werden. Dies bewirkt eine geringere Einflussnahme von anthropogenen Stoff- und Energieströmen auf die Umwelt. Die Suffizienz kommt somit der Konsistenz ein Stück weit entgegen.

Neben der Effizienz und der Konsistenz hat die Suffizienz durchaus eine Daseinsberechtigung. Die liegt nicht zuletzt an zwei Gründen, die wichtige Elemente auf dem Weg zur Nachhaltigkeit darstellen. Erstens: Effizienz und Konsistenz werden sehr wahrscheinlich nicht ausreichen, um den Ressourcenverbrauch und die Beeinflussung der Natur auf ein nachhaltiges Maß zu beschränken. Zweitens: Suffizienz kann zuweilen die einfachere und leichter zu akzeptierende Strategie sein.


Literatur
Bauer, J. (2008): Industrielle Ökologie - Theoretische Annäherung an ein Konzept nachhaltiger Produktionsweisen. Stuttgart: Uni Stuttgart. (Link)
Fischer, C./ Grießhammer, R. (2013): Working Paper. Mehr als nur weniger Suffizienz: Begriff, Begründung und Potenziale. Freiburg: Öko-Institut e.V. (Link)
Nertinger, S. (2014): Carbon and Material Flow Cost Accounting. Wiesbaden: Springer. (Link)
Wilke, G. (2002); Öko-Effizienz und Öko-Suffizienz von professionalisiertem Car-Sharing. Eine Problemskizze.; in: Von nichts zuviel. Suffizienz gehört zur Zukunftsfähigkeit. Über ein Arbeitsvorhaben des Wuppertal Instituts; Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie 2002; p. 71-82.

Dokumente
Effiziente Suffizienz
"Von nichts zu viel. Suffizienz gehört zur Zukunftsfähigkeit." Wuppertal Institut, 2002

Interne Links
Externe Links
Bumerangeffekt / Rebound-Effect
Eine nachhaltige Gesellschaft braucht Suffizienz
Suffizienz

Schlagworte

Carsharing, Konsum, Nachhaltigkeitsstrategie, Strategien

Letzte Aktualisierung

18.08.2015 14:04

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