Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft: von Carlowitz
Begriffsentwicklung- Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft, Hans Carl von Carlowitz, 1713
- Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft: weitere Quellen
- Übersetzung ins Englische und Französische (19. Jh.)
- Erste Verwendung von "sustainable" im 20. Jh.
- Verwendung durch die Vereinten Nationen
Die erste Nennung des Begriffs nachhaltig wird im allgemeinen Johann „Hannß“ Carl von Carlowitz (1645-1714) aus Freiberg zugeschrieben.(*1) Sein Vater war Oberaufseher der Flöße und kurfürstlicher Oberjägermeister. So lernte Carlowitz früh in seinem Leben die Welt der Flößer, Köhler und Jäger kennen. Gleichzeitig war er mit der geistigen Welt seiner Zeit vertraut. An der Universität Jena studierte er 1664 zwei Semester Jura und brach danach zu einer fünfjährigen Studien- und Bildungsreise auf. Dabei besuchte er England, Frankreich und Italien. In London erlebte er den großen Brand von 1666 mit. Die erste Publikation der britischen Royal Society mit dem Titel „Sylva or a Discourse of Forest Trees and the Propagation of Timber in His Majesties Dominions“ (Sylva oder eine Abhandlung über Waldbäume und die Zucht von Holz in den Ländern seiner Majestät) von John Evelyn von 1664 lernte er in diesen Jahren kennen.(*2) Frankreich bereiste er in der Zeit der großen Forstreform Ludwig des XIV. im Jahr 1669. Das unter der Leitung des Staatsrates und königlichen Finanzintendanten Jean Baptiste Colbert erstellte Werk „Ordonnances sur le fait des Eaux et Forets“ (die Verordnung betreffend die Gewässer und Forste)(*3) wird er später in seiner „Sylvicultura oeconomica“ zitieren und schreiben, dass sie bereits „das ganze Summarium“ seines Werkes beinhalte.(*4)
Carlowitz wurde im Alter von 32 Jahren zum „Vice Berg-Hauptmann“ ernannt und wurde später Oberberghauptmann und Leiter des Oberbergamts in Sachsen. Somit lag unter anderem die Verwaltung der Holzversorgung des sächsischen Berg- und Hüttenwesens in seinem Aufgabengebiet.
Sylvicultura oeconomica
In dieser Position verfasste er im Jahr 1713 das erste in sich geschlossene deutsche Werk zur Forstwirtschaft mit dem Namen „Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht“. Im Buch wird der Gedanke der Nachhaltigkeit – wie er bereits von den Vorbildern Colbert und Evelyn entwickelt wurde – noch einmal deutlich formuliert: Bei der Rodung von Wäldern müsse man „bedenken [...] wo ihre Nachkommen Holz hernehmen sollen" (Carlowitz, Reprint von 1713, S. 76). Denn „wenn die Holtz und Waldung erst einmal ruinirt / so bleiben auch die Einkünffte auff unendliche Jahre hinaus zurücke / und das Cammer=Wesen wird dadurch gäntzlich erschöpffet / daß also unter gleichen scheinbaren Profit ein unersetzlicher Schade liegt“ (Carlowitz, Reprint von 1713, S. 87). Anhand eines Sprichwortes verdeutlicht er das Prinzip: „Man soll keine alte Kleider wegwerffen / bis man neue hat / also soll man den Vorrath an ausgewachsenen Holtz nicht eher abtreiben / bis man siehet / daß dagegen gnugsamer Wiederwachs vorhanden“. Er mahnt, dass man "mit dem Holz pfleglich umgehe, und alle unnütze Verschwendung und Verderbung desselben, so viel wie möglich verhüte“ (Carlowitz, Reprint von 1713, S. 88).
Darauf folgt der Absatz, der als die Geburtsstunde des Nachhaltigkeitsbegriffs gilt:
„Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“ (Carlowitz, Reprint von 1713, S. 150)
Carlowitz nutzt hier das Wort nachhaltend. Dies entstammt dem Verb nachhalten, welches bedeutet, dass etwas für längere Zeit anhält oder bestehen bleibt. Das Substantiv hierzu ist das mittlerweile veraltete Wort Nachhalt. Es beschreibt etwas, dass zurückgehalten wird. Eine Reserve, die man für schlechte Zeiten aufbewahrt. Das Wort Rückhalt hat heutzutage diese Bedeutung übernommen.
nachhaltig Adj std. (18.Jh.). Über Nachhalt (eigentlich »Rückhalt, was man zurückbehält«) abgeleitet von nachhalten »andauern, wirken, anhalten«. (Kluge und Seebold 2002, S.642)
Carlowitz als den "Erfinder der Nachhaltigkeit"(*5) zu bezeichnen wird jedoch häufig kritisiert, da dabei die Entwicklungen vor und nach ihm außer Acht gelassen werden. Oft wird bemängelt „von Carlowitz Gedanken zur Nachhaltigkeit seien unvollständig, wenig grundsätzlich und ungeordnet formuliert, die eigentliche und praktisch wirksame Herausbildung des Nachhaltigkeitsprinzips begann nach der Mitte des 18.Jahrhunderts“ (Tremmel 2003, S.97).
Auch die Erfindung des Begriffs nachhaltig kann ihm nicht direkt angerechnet werden. Sein Werk enthält lediglich das damals bereits vorhandene Adjektiv nachhaltend. Die tatsächlich erste Verwendung von nachhaltig wird auf Hermann Friedrich von Göchhausens „Notabilia venatoris, oder Jagd- und Weidwercks-Anmerckungen“ aus dem Jahre 1732 zurückgeführt.(*6)
Der Unterschied zwischen nachhaltend und nachhaltig wird jedoch oft als gering angesehen: Bei Tremmel heißt es schlicht: „Nach Meinung des Autors ist der Unterschied zwischen nachhaltend und nachhaltig nicht wirklich relevant" (Tremmel 2003, S.98).
Bei Grober (2010) wird die Wortfindung inhaltlich genauer thematisiert. Er feiert Carlowitz „semantische Operation“ eines „sächsischen Virtuoso“ der „die deutsche Sprache nach einem Wort abklopft, das die langfristige zeitliche Kontinuität von Naturnutzung und den Gedanken des Einteilens und Sparens von Ressourcen plastisch und präzise zum Ausdruck bringt.“ Das bereits seit dem Mittelalter gebräuchliche nachhalten sieht er in der Bedeutung ähnlich des lateinischen reservare (etwas zurückhalten, reservieren, für später schonen) und Carlowitz hole „nachhalten auf das Wortfeld des so epochalen Begriffs conservare – bewahren – und rückt es in die Nähe von sustenare – halten, stützen, tragen. Und: [...] koppelt die adjektivische Partizipalform nachhaltend mit Nutzung zu einer Fügung, die den Weg zur abstrahierenden Begriffsbildung Nachhaltigkeit frei macht.“7 Dies liefert bei allem Überschwang („Da ist das Wort!“ Grober 2010, S. 116) eine inhaltliche Interpretation der Wortfindung.
Es kann Carlowitz angerechnet werden, dass er als Erster einen Begriff fand, der mit dem sich entwickelnden Konzept in Verbindung gebracht wurde. Damit begann eine Entwicklung, während derer sich der Begriff nachhaltend in nachhaltig wandelte. Ein Begriff der erstmalig eine eindeutige Bezeichnung für ein bis dahin namenloses Konzept lieferte. In den darauffolgenden Entwicklungen in der Forstwirtschaft taucht der neue Begriff immer wieder auf und durchläuft inhaltlich erste Bedeutungsveränderungen.
Interne Links
- Begriffsentwicklung
- Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft (18. Jh.)
- Hans Carl von Carlowitz, 1713
- Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft: weitere Quellen
- Übersetzung ins Englische und Französische (19. Jh.)
- Erste Verwendung im 20. Jh.
- Verwendung durch die Vereinten Nationen
- Die Entdeckung der Nachhaltigkeit
- Ebook: Carlowitz, Hannß Carl von: Sylvicultura Oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht (1713)
- Carlowitz, Hannß Carl von (2009): Sylvicultura Oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht. Reprint der 2. Aufl. Leipzig, Braun, 1732. Remagen-Oberwinter: Kessel.
- Di Giulio, Antonietta (2004): Die Idee der Nachhaltigkeit im Verständnis der Vereinten Nationen. Anspruch, Bedeutung und Schwierigkeiten. Münster: Lit Verlag.
- ETH Zürich - Bibliothek (2012): Albrecht Karl Ludwig Kasthofer (1777–1853). Kurzporträts. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich.
- Grober, Ulrich (1999): Der Erfinder der Nachhaltigkeit. In: Die Zeit, 48/1999, S.98. (*5, S.98)
- Grober, Ulrich (2001): Tiefe Wurzeln: Eine kleine Begriffsgeschichte von "Sustainable Development" - Nachhaltigkeit. In: Gesellschaft für ökologisch-nachhaltige Entwicklung (Hg.): Natur und Kultur, 3/1 2001, S.116–128. (*2, S.119)
- Grober, Ulrich (2010): Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. München: Kunstmann. (*1, S.111)(*3, S.97 ff.)(*4, S.111 ff.)(*7, S.116)
- Kluge, Friedrich; Seebold, Elmar (2002): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Aufl. Berlin. New York: De Gruyter.
- Tremmel, Jörg (2003): Nachhaltigkeit als politische und analytische Kategorie. Der deutsche Diskurs um nachhaltige Entwicklung im Spiegel der Interessen der Akteure. München: Ökom-Verlag. (*1, S.96)(*6, S.98)
- Sächsische Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft (Hg.): "Die Erfindung der Nachhaltigkeit." Leben, Werk und Wirken des Hans Carl von Carlowitz
- Jubiläumsjahr (2013): Hans von Carlowitz